Leseproben
Verlag für Fantasy, Dark Fantasy & Horror
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zuletzt aktualisiert am Donnerstag, 25.11.2010
»Margash«
»Mal der Drachen«
»Der Letzte«
»Drachengold«
»Der Nachtmahr«
»Der Fährmann«
aus »Margash - Erzählungen aus der Welt der Drachen«
aus »Margash - Erzählungen aus der Welt der Drachen«
aus »Margash - Erzählungen aus der Welt der Drachen«
aus »Margash - Erzählungen aus der Welt der Drachen«
aus »Düstere Moorlegenden«
aus »Düstere Moorlegenden«
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Autorinnen & Autoren
»Margash«
Autorin: Alexandra Balzer
(aus der Anthologie »Margash - Erzählungen aus der Welt der Drachen«)
Es war schon weit nach Mitternacht, als Margash dem unerträglichen Druck kaum länger standhalten konnte.
Sein Körper wuchs, aber noch durfte er nicht das Ei sprengen, musste warten, warten, bis Ovil endlich in tiefem,
traumlosem Schlaf lag und die Verbindung zu ihm verlor. Er brauchte seine ganze Kraft, um das Wachstum
aufzuhalten und dem Magier behutsame Illusionen zu schicken, damit dessen Unterbewusstsein nicht spürte,
dass etwas im Gange war.
Seine Flügel drückten schmerzhaft gegen die Schale, sein gesamter Leib presste sich gegen das Ei, das ihn so
lange gefangen gehalten hatte. Endlich, als er schon glaubte, ersticken zu müssen, konnte er es einfach
geschehen lassen. Das feine Knirschen war das wundervollste Geräusch, das er sich nur vorstellen konnte. Das
erste Geräusch überhaupt, das er mit seinen Ohren und nicht mit seinen magischen Sinnen wahrnahm, denn
durch die Steinhülle war nie ein Laut gedrungen. Als er schon fast seine Knochen brechen fühlte, gab die
Schale endlich nach, und mit einem lauten Krachen zerbarst das Ei in tausend Stücke.
Margash fiel zu Boden, denn der Zauberstab hatte senkrecht an der Wand gelehnt. Desorientiert stolperte er
umher. Myriaden neuer Empfindungen prasselten auf ihn ein, dazu wuchs er in rasender Geschwindigkeit stetig
weiter. Das Turmzimmer des Magiers, das seine drachischen Sinne immer als so weiträumig wahrgenommen
hatten, schien zusammenzuschrumpfen, schon reichten seine Flügel von Wand zu Wand, und er musste sie eng
an den Körper anlegen. Schmerzwellen ertränkten sein Bewusstsein, als das gesamte Leben – sehen, riechen,
hören, schmecken, fühlen – mit Macht seinen Weg bahnte, als seine grausam zurückgedrängte Entwicklung die
letzten hundert Jahre aufholte. Er brüllte, wand sich in schmerzhaften Krämpfen über den Boden. Er hörte, er
spürte, wie wertvolle Gerätschaften und Schriftrollen unter seinem schweren Leib zerbrachen, doch er konnte
es nicht verhindern.
Als Margash keuchend zur Ruhe kam, sah er das verhasste alte Gesicht des Magiers verschwommen über
sich. Das erste Mal mit eigenen Augen.
»Ich bin frei!«, knurrte er seinem Sklavenmeister zu.
Mühsam hob er seinen Kopf. Noch war er schwach, doch die Magie, die durch seine Adern pulsierte, ließ ihn
rasch erstarken. Schon jetzt war er eine gewaltige Kreatur, mehr als doppelt so groß wie Ovil. Grollend erhob er
sich über den Zauberer. Seine blauschwarzen Schuppen glitzerten im Licht der Laterne, die Ovil mit seiner
Linken umklammerte.
Hass, Genugtuung, sogar ein wenig Bedauern brodelten in seiner Drachenseele. Genüsslich hob er die rechte
Vorderpranke, ganz langsam. Einige Augenblicke lang war er sich unsicher – sollte er den Alten mit seinen
Krallen zerfetzen? Unter der Pranke zermalmen? Kraftvoll gegen die Wand schmettern? Mit seinen
dolchartigen Zähnen zerreißen? Oder doch mit einem Flammenstoß vernichten?
Da begann Ovil zu lachen. Aus vollem Hals lachte er, tief und dröhnend, so heftig, dass er die Laterne
abstellen und sich an den Trümmern eines Tisches festklammern musste, um nicht umzufallen.
Irritiert betrachtete Margash seinen Peiniger – müsste der Mensch jetzt nicht um Gnade winseln oder in
panischer Angst fliehen? Unruhig wartete er ab. Vielleicht war Ovil wahnsinnig geworden bei seinem Anblick?
»Mal der Drachen - Das Erwachen«
Autor: David Fabian Bobisch
(aus der Anthologie »Margash - Erzählungen aus der Welt der Drachen«)
»Der Mut der Verteidiger sank immer mehr, das Einzige, was übrig blieb, war sich in Geduld zu fassen,
bis der Mond seinen Zyklus vollendet hatte, und von verzweifelter Hoffnung erfüllt nach den Boten und
der Verstärkung, die sie holen sollten, Ausschau zu halten. Doch ihre Rückkehr war alles andere als
gewiss, es war ja noch nicht einmal bekannt, ob es ihnen überhaupt gelungen war, Truppen für den Kampf
gegen die Neverser anzuwerben. Das Warten wurde zur unerträglichen Qual und verschlimmerte sich mit
jedem Tag, der verstrich, während die Neverser ihre Belagerung unermüdlich fortsetzten und mit großen
Katapulten steinernen Tod auf Jarhorn regnen ließen, der grausamen Zoll unter den Einwohnern forderte.
Dann endlich kam der lang ersehnte Tag der Rückkehr der Boten. Noch bevor die Sonne ihre ersten
blutroten Strahlen auf die Baumwipfeln warf, war die ganze Stadt auf den Beinen und hielt Ausschau.
Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, das eine Waffe halten konnte, war gerüstet und fieberte dem
richtigen Moment entgegen, um mit einem Ausfall den zurückkehrenden Gesandten und ihren Kämpfern
zu Hilfe zu kommen und so das Neversen’sche Heer, einem Hammer auf einem Amboss gleich, zu
zermalmen.«
Foraine hielt plötzlich inne, weil vom Gang her ein lautes, ächzendes Husten zu hören war, gefolgt von
den eiligen Schritten mehrerer Personen. Erst als das Husten verstummt war, fuhr sie fort.
»Jeder einzelne Augenblick, der verstrich, schien eine Ewigkeit zu dauern, und die ganze Stadt lag in
angespanntem Schweigen dar, bis schließlich ein Kind einen Freudenschrei ausstieß und die Stille von
einem Augenblick auf den anderen einem ohrenbetäubenden Jubel wich. Die Boten waren zurückgekehrt
und es war ihnen tatsächlich gelungen, Kämpfer für unsere Sache zu gewinnen. Unter dem Banner des
roten Widders von Jarhorn, das die Boten führten, marschierten viele Hundert Söldner der
unterschiedlichsten Herkunft, selbst einige Schwertritter Anators waren dabei. Die Tore Jarhorns öffneten
sich, und einer Sturmflut gleich ergoss sich unsere Streitmacht auf die verblüfften Neverser.
Die Schlacht war unbeschreiblich brutal, denn obgleich überrascht kämpften unsere Gegner mit der
Grausamkeit von Dämonen, während die Jarhorner, angetrieben von Rache, Angst und dem Willen zu
überleben, grässlich unter ihnen wüteten. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob die Neverser schnell
geschlagen werden könnten, unsere Verteidiger zusammen mit den angeworbenen Kriegern trieben sie
zusammen und kreisten sie ein, doch langsam gelang es ihnen sich zu fangen, und das Blatt wendete sich,
während der Schwachpunkt der Taktik des Hohen Rates offenbar wurde. Denn die Streitkräfte von Jarhorn
bestanden aus Bauern, Handwerkern, gealterten Soldaten und Söldnern, einem bunten, unkoordinierten
Haufen, während das Neversen’sche Heer eine gut organisierte Armee darstellte, das eiskalt zurückschlug,
sobald die Überraschung verflogen war.
Sicher hätten die Neverser doch noch gesiegt, wenn nicht ein Wunder geschehen wäre. Ein einzelner Bote
tauchte auf, als die Schlacht ihren Höhepunkt erreicht hatte, sein rotes Widder-Banner hoch gen Himmel gereckt,
doch ihm folgte kein einziger Mensch. Die Streiter müssen ihn wohl für verrückt gehalten haben, bis ein
ohrenbetäubender Schrei den Schlachtlärm übertönte. Hoch am Himmel flog ein Smaragddrache! Ihr könnt Euch
nicht vorstellen, was das für ein Anblick war, seine Schuppen leuchteten wie Edelsteine im Sonnenlicht, seine
vier Flügel waren majestätisch ausgebreitet und sein Säureatem wütete gar unvorstellbar unter den Neversern.«
»Drachengold«
Autorin: Julia Muschick
(aus der Anthologie »Margash - Erzählungen aus der Welt der Drachen«)
Sie waren lange fort, fast zwei Tage, da sie sich möglichst nicht von den Zwergen sehen lassen
wollten und weit zu fliegen hatten. So kehrten sie spät in der zweiten Nacht wieder zurück, mit
wenig Beute, müde und erschöpft. Sie hatten zwei Bären erwischt, einen Hirsch und einige
Rinder, die sie den Menschen von der Weide geraubt hatten. Aber das war bei Weitem nicht
genug.
Alles war still, als sie zurückkamen. Aber diese Stille war ungewöhnlich. Dra'thar fühlte, dass
etwas nicht in Ordnung war. Kein entspanntes Schnarchen kam ihm entgegen, auch seine
Schwester wartete nicht am Eingang, um ihn zu begrüßen, wie sie es sonst immer tat. Als sich die
Gruppe ihrer Behausung näherte, witterte er etwas, das ihn noch viel mehr erschreckte – Blut!
Eine dunkle Ahnung beschlich ihn. Rasch eilte er in die Höhle, um zu sehen, was geschehen war.
Die zwei alten Drachen lagen in der Nähe des Eingangs, erschlagen. Die Dwarfs hatten viel
Gold aus ihren Schuppenpanzern herausgebrochen, so dass die beiden jetzt in einer großen
Blutlache schwammen. Auch viele tote Zwerge und vereinzelt nur Körperteile lagen verstreut auf
dem Boden.
Seine Schwester war unversehrt. Kläglich fauchend erhob sie sich von Lie'naes Lager und kam
auf ihn zu.
»Oh Dra'thar! Endlich seid ihr wieder da! Die Dwarfs waren hier! Und sie haben das Ei
genommen. Lie'nae ist verletzt.«
Sie wollte sich Trost suchend an ihn schmiegen, aber er eilte an ihr vorbei. Dort lag sie und sah
ihn aus nassen Augen an. Drachen konnten Tränen vergießen, wenn sie großen Schmerz fühlten,
doch niemand hatte jemals einen Drachen weinen sehen, hatte er aus Erzählungen gehört. Es nun
selbst zu sehen, brach ihm endgültig das Herz. Sein Kind war geraubt, zwei weitere Mitglieder
seines Clans waren getötet und seine Frau schwer verletzt worden, und nun waren diese Tränen
der Auslöser für eine ungeheure Wut, die sich in seinem Innern entfesselte. Tränen, die ihm den
unglaublichen körperlichen und seelischen Schmerz Lie'naes begreiflich machten. Wenn er ihr
Kind nicht zurückbrachte, würde auch sie sich keine Mühe geben, am Leben zu bleiben.
Dra'thar stieß ein markerschütterndes Brüllen aus. Mit seinen Krallen fegte er die leblosen
Zwergenkörper aus seiner Nähe davon und bewegte sich fauchend und tobend auf den Ausgang
zu. Niemand stellte sich ihm in den Weg. Zu groß waren die Trauer und das Entsetzen seines
Clans, der die Grausamkeit und Unbarmherzigkeit der Zwerge nicht begreifen konnte.
Dra'thars Müdigkeit war verflogen, seine Erschöpfung spürte er nicht mehr. Es war nichts als
unbezwingbarer Hass, der in ihm wütete, an seinem Verstand zerrte und sein klares Denken
ausschaltete. Draußen breitete er seine mächtigen, ledernen Schwingen aus, wirbelte Steine und
Staub durch die Nacht und erhob sich schließlich in die Luft. Wenn auch nicht in großer Höhe,
dafür aber mit umso größerer Geschwindigkeit fegte er über die Berghänge wie ein Gestalt
gewordener Racheengel.
Die Feuer der Zwerge brannten in ihren unseligen Öfen und ihre Hämmer schlugen auf die
Ambosse, als gelte es, die Rüstungen und Waffen für eine Armee in einer einzigen Nacht zu
schaffen. Die Dwarfs, die seinen Clan überfallen hatten, konnten ihre Stadt noch nicht erreicht
haben, denn es war laut seiner Schwester noch nicht lange her, dass ihr Blut vergossen worden
war, und Zwergenbeine waren zu kurz, um weite Strecken schnell überwinden zu können.
Dra'thar hoffte sie zu finden, bevor sie bei den Schmieden ankamen. Er würde weder sie noch ihre
Häuser verschonen – und schon gar nicht ihre Öfen. Zu viele seiner Art hatten dort drinnen
gebrannt. Zu viel unschuldiges Blut war vergossen worden, nur um des Goldes willen.
Aber Dra'thar fand sie nicht, während er wie ein Dämon über die Landschaft hinweg glitt, mit
glühenden Augen nach den Mördern Ausschau haltend. Dann erreichte er die Stadt.
»Der Nachtmahr«
Autorin: Katrin Schönsee
(aus der Anthologie »Düstere Moorlegenden«)
Unsicher schweifte sein Blick über die pechschwarze Umgebung. Das gelbe Flackern tauchte
wieder am Horizont auf, und als Nathan die beiden strahlenden Augen über die Straße rollen sah, da
wusste er, es war nicht bloß ein drohender Gewittersturm, der über ihn kam. Von Panik ergriffen ließ
er sich neben der Tür seines Wagens zu Boden fallen und landete unsanft mit dem Hintern im
feuchten Morast.
Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte er die Scheinwerfer des anderen Fahrzeugs. Der Motor
stotterte unruhig im ersten Gang. Dort, wo Nathan zuvor in den Feldweg eingebogen war, stoppte
der Fahrer seinen Wagen auf einmal, so als suche er am Rand der Straße nach irgendetwas. Nathan
hechelte wie ein Hund in der Sommerhitze. In seinem Magen gluckste der Whiskey und seine
Finger krallten sich mechanisch in den aufgeweichten Untergrund. Der Motor heulte kurz auf wie
ein Wolf, der seine Beute gewittert hatte. Dann beschleunigte der Wagen unerwartet und die beiden
Lichtkegel verschwanden um die nächste Biegung.
Ein undefinierbares Grunzen drang aus Nathans Kehle. Der Wagen hatte geklungen wie der
klapprige Ford seines Nachbarn, des alten Seamus Miller. Geräuschvoll klappte er die Kiefer
zusammen und sog gierig die kühle Nachtluft durch die Nase ein.
Eine Weile blieb er noch sitzen, hielt die Lippen fest aufeinander gepresst. Er war davon
überzeugt, dass, wenn er seinen Mund jetzt öffnete, eine Fontäne reinen Adrenalins aus ihm
herausschießen würde. Schließlich, nachdem keine weiteren Anzeichen für die Gegenwart seines
vermeintlichen Verfolgers auftauchten, rappelte er sich mühsam auf und wankte zum Heck seines
Transporters. Der feuchte Abdruck auf seinem Hosenboden fühlte sich an, als hätte sein
Schließmuskel kurzzeitig den Dienst versagt.
Während Nathan ungeduldig an der Tür zum Laderaum herumfummelte und, anstatt das Schloss
zu treffen, mit dem Schlüssel zahlreiche abstrakte Muster in den Lack kratzte, warf er immer wieder
einen Blick über seine Schulter. Das Land um ihn herum war undurchdringlich finster und still.
Niemand mit Verstand würde um diese Uhrzeit auch nur einen Fuß in diese gottverlassene Gegend
setzen.
Niemand, außer ihm.
Diese Erkenntnis verlieh ihm ausreichend Mut, um die Taschenlampe anzuknipsen, wodurch es
ihm endlich gelang, die Tür zu öffnen. Mit starrem Blick beobachtete Miranda ihren Entführer
dabei, wie er sie aus ihrem dunklen Gefängnis zog und zurück in die Schubkarre verfrachtete. Es
gab keinen Weg, der in den Erlenbruch hineinführte. Der Pfad, auf dem er gekommen war, vollzog
kurz vor dem Waldrand eine Kurve und schlängelte sich in respektvollem Abstand daran vorbei.
Nathan musste seine ganze Kraft aufwenden, um die Schubkarre durch Wildkräuter und struppige
Grasbüschel hinter sich her zu zerren. Jenseits der ersten Baumreihen erwartete ihn der Sumpf, das
Heim seines dämonischen Gebieters.
Ein dumpfes Gefühl der Abgeschiedenheit überkam ihn, so als befände er sich in einer Höhle weit
unter der Erde. Die Kronen der Bäume bildeten ein eng gewebtes Netz über seinem Kopf, durch das
man nicht einmal dann den Himmel hätte erblicken können, wenn es taghell gewesen wäre.
Schatten, groß wie Trolle, wanderten lautlos zwischen den dicht gedrängten Stämmen umher.
Lediglich die verwitterten Holzbohlen boten ein wenig Sicherheit inmitten der tückischen
Sumpflandschaft …
»Der Fährmann«
Autor: Patrick L. Woulfe
(aus der Anthologie »Düstere Moorlegenden«)
Zielsicher hatte das Tier ein kleines Eiland inmitten der ausgedehnten Moorlandschaft angesteuert und
mehrere Male umrundet. Auf der Erhebung, die wie ein übergroßer, flacher Schildkrötenpanzer aus dem Sumpf
ragte, wuchsen lediglich einige wenige Sträucher. Unwirklich ragten die verdorrten Zweige in den Himmel und
boten mit ihren welken, verschrumpelten Blättern inmitten der wasserreichen Umgebung einen bizarren
Kontrast zu der ansonsten üppigen Vegetation. Die Luft schien hier stillzustehen, kein Laut, keinerlei Bewegung
war an diesem einsamen Ort auszumachen, der augenscheinlich von Lebewesen, gleich welcher Art, gemieden
wurde. Selbst die Mückenschwärme, die da und dort wie flirrende Wolken über dem Moor schwebten, blieben
auf Distanz.
Während der gewaltige Körper beinahe zur Gänze unter einer graugrünen Schlickschicht verborgen war, die
den schmalen Schilfgürtel rund um die Insel umkreiste, verharrte das Tier beinahe regungslos im Wasser und
korrigierte nur dann und wann mit seinem Schwanz oder seinen Gliedmaßen, wenn die sanfte Strömung es
abzutreiben drohte. Lediglich seine kleinen Augen, die unverwandt zur Insel starrten, und ein schmaler Höcker
seiner langen Schnauze ragten aus dem Wasser hervor.
„Diese verfluchte Hitze wird mich noch ins Grab bringen!“
Glover fuhr sich mit der Hand, um die noch immer das blutige Taschentuch gewickelt war, über die
schweißnasse Stirn.
Die Luft lag schwer und drückend über der Landschaft. Während es sich seine Frau im Bug bequem gemacht
hatte und ihre Blicke schweigend über die schier grenzenlose Wasserfläche schweifen ließ, saß er selbst mit dem
Rücken zur Fahrtrichtung und starrte beinahe ununterbrochen auf den Fährmann, der mithilfe einer langen Stange
mit kräftigen, geübten Stößen das schlanke Gefährt vorwärts stieß.
„Nur keine Sorge, Mr. Glover“, entgegnete Gabriel, „die Hitze hat hier noch niemanden umgebracht.“
Glover warf dem Fährmann einen missmutigen Blick zu. „Wie kommt es eigentlich, dass Sie nicht schwitzen?“
Gabriel zuckte mit den Schultern und wies mit dem Kopf auf einen alten Rucksack, der unter einem der
Sitzbretter verstaut lag. „Falls Sie etwas trinken wollen … Ich habe vor unserer Abfahrt frisches Quellwasser
nachgefüllt.“
Glover zog eine Flasche heraus und leerte sie mit gierigen Schlucken zur Hälfte. Als er sie gerade wieder
verschließen wollte, schien er sich kurz eines Besseren zu entsinnen und klopfte mit dem dicken Glasboden fest
gegen die Planken des Bootes. Eve drehte sich um. Glover hielt ihr die Flasche entgegen, doch die junge Frau
schüttelte kaum merklich den Kopf und wandte sich wortlos wieder ab.
„Warum greift ein Fährmann in unserer Zeit eigentlich noch immer auf diese altmodische Art der
Fortbewegung zurück?“, fragte Glover, während er die Flasche sorgfältig wieder im Rucksack verstaute. „Sein
Boot mit einem Motor auszustatten, wäre weitaus weniger anstrengend.“
Gabriel sah ihn einen Moment lang mit einem leichten Schmunzeln an. Dann fasste er seine Stake fest mit
beiden Händen, zog sie gegen die Fahrtrichtung durch das Wasser und ließ sie schließlich waagrecht über der
Wasseroberfläche schweben. Während das Boot durch die Gegenbewegung aus seiner Bahn drehte, starrte Glover
auf die dicken Tropfen, welche an einer Ansammlung von Schlingpflanzen, die wie ein dicht gewebter Teppich
von der Stange baumelten, hinab liefen und in den Sumpf perlten.
„Verstehe …“, brummte er kaum verständlich.
„Aber das ist nicht der einzige Grund“, nahm Gabriel nach ein paar Augenblicken das Gespräch wieder auf und
brachte das Boot zurück in die ursprüngliche Richtung. „Das Motorengeräusch würde mit ziemlicher Sicherheit
einige … sagen wir: äußerst unangenehme und stets sehr, sehr hungrige Bewohner dieses Sumpfes anlocken.“
Glovers Augen weiteten sich. „Wov- … wovon zum Teufel sprechen Sie, Mann? Krokodile? Alligatoren?
Hier?“
Ungläubig starrte er einen Moment lang den Fährmann an, bevor er gehetzt links und rechts auf die Wellen
schaute, die hinter dem Heck des Kahns trichterförmig auseinander strebten.
„Nein, keine Alligatoren.“
„Herrgott nochmal! Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?!“ Hektisch blickte Glover nach allen
Seiten, suchte mit steigender Unruhe die Oberfläche des Sumpfes ab. „Warum haben Sie uns das nicht gesagt,
bevor wir in diese schwimmende Nussschale gestiegen sind, in der wir praktisch wie auf dem Präsentier-?“
Er brach ab, als er das breite Grinsen in Gabriels Gesicht sah.
„Nur ein kleiner Scherz, Mr. Glover“, entgegnete der Fährmann und wurde im nächsten Augenblick wieder
ernst. „Ich bitte höflichst um Verzeihung – manchmal überkommt es mich einfach. Aber ich kann Ihnen
versichern: In diesem Moor gibt es nichts, was Ihrer Frau gefährlich werden könnte.“
„Ich wüsste nicht, inwiefern mich das jetzt beruhigen sollte“, entgegnete Glover giftig und atmete einmal tief
durch. An seinen rastlosen Augen, die auch weiterhin nach Anzeichen einer ungewöhnlichen Bewegung im
trüben Wasser Ausschau zu halten schienen, war deutlich zu erkennen, dass ihn die Worte des Fährmanns nicht
völlig überzeugt hatten ...
»Der Letzte«
Autor: Peter Hohmann
(aus der Anthologie »Margash - Erzählungen aus der Welt der Drachen«)
Das Land ringsum lag im Sterben.
Die einst saftigen Wiesen nun welk und braun, als wäre ein Feuer über sie hinweggefegt, nur hier und
da stach noch ein grüner Strunk hervor, ein halbverdorrter Strauch, streckte ein hagerer Baum seine Äste
wie skelettierte Finger flehend gen Himmel, der düsterrot glomm, dunkle Wolken verdeckten die Sonne,
einem Schleier gleich, damit die Götter nicht ansehen mussten, was auf der Welt geschah.
Düster, abweisend wirkte Elátvár, als Curaygen immer näher kam, die Bäume ein schwarzer Wall
eherner Wächter, ohne Blätter, nur spitze Äste.
Schmerz und Entkräftung zwangen ihn zur Landung, und so musste er sich durch die Bäume schieben,
von denen einige wegbrachen, als sein Leib gegen sie drückte. Ansonsten hätten sie sich, frisch und
geschmeidig, wie sie einst gewesen, einfach gebogen, doch etwas hatte den Saft aus ihnen gesaugt,
sodass sie nur noch Hüllen waren. Leer, leblos.
Genauso fühlte auch er sich.
Was war nur aus diesem mit Magie durchtränkten Ort geworden? Nur schwach spürte er das Pulsieren
arkaner Energie, nicht vergleichbar mit der Macht, die ihm ansonsten hier entgegen gebrandet war wie
Wellenriesen an einer sturmumtosten Küste.
Sprödes Strauchwerk und heruntergefallene Äste bedeckten den Boden und knackten bei jedem Schritt
seiner krallenbewehrten Pranken, welche sich trotz der Trockenheit in den Boden drückten – eine leicht
zu verfolgende Fährte für jeden Drachenjäger. Seine ganze rechte Seite war eine flammende See.
Humpelnd bahnte er sich einen Weg bis zu einer weiten Lichtung. Noch bevor er sie betrat, wehte ihm der
Gestank nach Tod entgegen.
Auf ihr, verstümmelt, manche mit grotesk verrenkten Gliedern, lagen Dutzende Dryaden, Burthos’
Krieger, ihre Körper mit Pfeilen gespickt. Auch viele der Bleichhäute waren unter den Gefallenen, doch
Curaygens Augen hefteten sich auf den blutüberströmten Körper eines Einhorns inmitten eines Rings
getöteter Dryaden.
Burthos.
Natürlich hatte Curaygen das Schlimmste befürchtet, doch der Leiche seines Freundes nun ansichtig zu
werden, lähmte ihn vor Entsetzen. Jede klaffende Wunde an dem einst makellosen Körper braute Wut in
ihm, wandelte sich jedoch bald in Hilflosigkeit und Verzweiflung; ein eindrücklicheres Fanal für das
Ende eines Zeitalters hätte es nicht geben können, als den ewigen Wald Elátvár geschändet und König
Burthos erschlagen zu sehen, ganz zu schweigen von Arkolishtarrs Ermordung. Ohne die alten Rassen
wäre bald jegliche Magie versiegt, das kosmische Gleichgewicht auf immer gestört, düster und abstoßend
würde das Land sein, nicht nur hier in Elátvár.
Man sah es schon jetzt, am dunklen Himmel, dem Absterben von Pflanze und Tier. Die alten Rassen
hatten das Land mit ihrer Magie getränkt und es schön und stark gemacht. Je weniger überlebten, desto
schwächer floss diese Leben spendende Energie. Irgendwann würde nur noch der Tod Gefallen finden an
dieser Welt. Die Menschen jedoch waren blind, erkannten nicht, dass ihr Weg auch sie irgendwann in den
Untergang führen würde.
Curaygen sah keinen Ausweg, am liebsten wäre er neben Burthos niedergesunken und hätte über nichts
mehr befunden, da hörte er ein Plätschern.
Wo einst das magische Wasser Urikairs, der magischen Quelle Elátvárs, hell und klar geflossen war,
rann jetzt nur noch ein bräunliches, stinkendes Rinnsal. Doch ein wenig Magie wohnte ihm noch inne,
Curaygen spürte es wie den Nachhall einer Glocke, die man vor langer Zeit angeschlagen hatte.
Die Lichtung hinter sich lassend, folgte er dem Flussverlauf, bis er Urikair erreichte. Wie oft war er mit
Burthos hier verweilt, um sich dem Gefühl von Harmonie zu öffnen? Jetzt erkannte er den Ort fast nicht
wieder. Die mit Runen verzierten Säulen, welche das Ufer umstanden – zerstört. Das Wasser, das aus den
sagenumwobenen Tiefen Thelarums, der verborgenen Unterwelt aufstieg – entweiht. Urikair ähnelte
einem verdreckten Tümpel. Aufgedunsene Leichname von Dryaden und Menschen trieben an der
Oberfläche.
Sollte er den Versuch wagen, seine Wunde hier zu heilen? Würde es einen Unterschied machen?
Langsames Dahinsiechen – oder irgendwann Drachenjägern zum Opfer fallen?
Er würde kämpfen, und sei es noch so aussichtslos. Drachen gaben nicht auf, wenn noch ein Funken
Leben in ihnen glomm.
Er watete in die faulige Brühe und kämpfte die Unsicherheit nieder, die ihn befiel. Als die Wasserlinie
seine Wunde erreichte, hielt er inne. Was mochte geschehen, wenn die korrumpierte Essenz in seinen
Körper gelangte? Es schien, als habe die Quelle all das Leid, den Hass und den Tod aufgenommen, das
Dunkle hatte sich mit dem einst Reinen vermengt.
Drachen kennen keine Angst, redete er sich ein.
Curaygen ließ sich nach unten sacken …